Monster Truck

Welcome to Germany

Ein Heimatabend
Nach einer Reihe von Auseinandersetzungen mit Inszenierungsformen des so genannten Anderen wenden sich Monster Truck in ihrer neuen Arbeit dem Schreckbild des so genannten Eigenen zu. Mit Seppelhose und Geißpeterhut lassen sie Deutschland als Horrorkabinett wiederauferstehen und führen die Zuschauer auf den schmalen Grat zwischen landestypischer Gastfreundschaft und unverhohlener Fremdenverachtung respektive -misshandlung.
In der am Fuße der chilenischen Anden gelegenen "Villa Baviera", einer deutschen Enklave, haben sie für dieses Horrorkabinett das perfekte Modell gefunden: ein bajuwarisch herausgeputztes Ferienressort, das sich bis vor kurzem noch "Colonia Dignidad" nannte. Ein Musterbild an Tüchtigkeit, Ordnung und Musikalität. Ein Ort, an dem Auswärtige seit jeher Vollkornbrot und Wurst kaufen konnten und wo für ausgewählte Gäste in Dirndl und Lederhosen Volkslieder gesungen wurden. Ein Ersatz-Deutschland, das hinter seinen idyllisch-folkloristischen Fassaden auf brutale Weise wirklicher war als die Wirklichkeit: geheimes Folterzentrum des Pinochet-Regimes, Heimathafen rechtsradikaler Todesschwadronen, Schauplatz systematisierten Kindesmissbrauchs. Unantastbar dank Beziehungen in höchste Regierungskreise hinein - ein Mikrokosmos, der von Angst und Misstrauen lebte, von Schuldgefühlen, gegenseitigen Bespitzelungen, ständigen Demütigungen durch drastische Strafmaßnahmen neben täglich praktizierter Volksmusik.
Ausgehend von Berichten von Menschen, die dort Erfahrungen mit "den Deutschen" gesammelt haben, konfrontieren Monster Truck sich und uns in einem Spagatschritt zwischen Dokumentartheater und surrealistischer Installation mit unserer nationalen Willkommenskultur und vermitteln ein Gefühl für das, was gemeint ist, wenn es heißt: "Die Deutschen sind zwar verrückt, aber fleißig. Die Wurst ist sehr gut, die Kartoffeln auch."


VON Monster Truck  DRAMATURGIE Marcel Bugiel, Justus Wenke  KÜNSTLERISCHE MITARBEIT Anna K. Becker MUSIKALISCHE LEITUNG Carolina Holzapfel SOUNDDESIGN Frank Bossert PRODUKTIONSLEITUNG ehrliche arbeit-freies Kulturbüro

Eine Produktion von Monster Truck. Koproduziert mit dem Schauspiel Leipzig und SOPHIENSÆLE. Gefördert aus Mitteln des Regierenden Bürgermeisters von Berlin – Senatskanzlei – Kulturelle Angelegenheiten. Mit freundlicher Unterstützung des Goethe Instituts.

03. Mrz. 2016
21:00 Uhr
Kammerspiele München

03. Mrz. 2016
18:30 Uhr
Kammerspiele München

02. Mrz. 2016
21:00 Uhr
Kammerspiele München

02. Mrz. 2016
18:30 Uhr
Kammerspiele München

23. Apr. 2015
20:00 Uhr

24. Apr. 2015
20:00 Uhr

25. Apr. 2015
20:00 Uhr

29. Apr. 2015
20:00 Uhr

30. Apr. 2015
20:00 Uhr

02. Mai. 2015
20:00 Uhr

07. Mai. 2015
20:00 Uhr

08. Mai. 2015
20:00 Uhr

09. Mai. 2015
20:00 Uhr

11. Mai. 2015
20:00 Uhr

23. Feb. 2017
19:30 Uhr
Kampnagel Hamburg

24. Feb. 2017
19:30 Uhr
Kampnagel Hamburg

25. Feb. 2017
19:30 Uhr
Kampnagel Hamburg

Alexander Kohlmann: "Spezialitäten aus Deutschland", Nachtkritik, 7.5.2015

Berlin, 7. Mai 2015. Dass dieser Abend viel eher eine Kunst-Installation denn eine klassische Theater-Inszenierung ist, zeigt sich schon, als wir den Saal betreten. In der Mitte der Bühne dreht sich eine riesige Rotunde. Aus dem Inneren des hölzernen Karussells ist Blasmusik zu hören. Ein Eingang in die verborgene Welt ist nirgends zu sehen. Bis sich eine Tür öffnet, aus der ein Mensch in Lederhosen-Tracht steigt. Sein Gesicht ist mit einer immerfort grinsenden Maske bedeckt. Wenn er uns hereinwinkt, scheint das ein wenig so, als würde die Hexe mit knochigen Fingern das Lebkuchenhaus schmackhaft machen wollen. "Welcome to Germany" heißt das neue Projekt von Monster Truck: Hereinspaziert!

Klinisch steril knacken die Knochen

Das Lebkuchenhaus ist in diesem Fall eine Enklave deutschen Brauchtums am Fuße der chilenischen Anden. In der heutigen Villa Baviera auf dem Gelände der ehemaligen Colonia Dignidad hat jahrzehntelang eine Sekte mit deutschen Antlitz geherrscht. Während die Läden Schwarzbrot und Wurst vor bayrischer Kulisse verkauften, folterten die Schergen des Pinochet-Regimes ihre Gegner auf dem weitläufigen Gelände. Nicht alle deutsche Politiker störte das. Franz Josef Strauß besuchte die deutsche Enklave, die sich viel darauf einbildete ein Ort deutscher Tugenden zu sein: Sauberkeit, Pünktlichkeit, Ordentlichkeit.

Jetzt sitzen wir in der Rotunde an Biertischen. Um uns herum kreisen die Wände, an denen bunte Gemälde deutschen Brauchtums prangen. Ordentliche Buben in der Schule, ein Bauer auf dem Mähdrescher, niedliche Bayern-Häuser. Bier wird serviert und Würstchen mit Senf. Gemütlich geht es hier zu – bis das Licht verlischt und gleich zu Beginn passiert, worauf alle gewartet haben. Zu düsteren Splatter-Movie-Klängen trägt eine Frau im OP-Kostüm ein Schwein auf ein Podest in der Mitte der Bühne. Kein frischgeschlachtetes Tier ist das, sondern ein vorbereitetes Stück Fleisch aus dem Supermarkt, ausgenommen, ausgeblutet, gewaschen und gehäutet.

Nicht wirklich schockierend, sondern eher klinisch-steril erscheint es deshalb, als die Frau dem Schwein mit dem Messer zu Leibe rückt, die Knochen durchtrennt und das Fleisch abschabt. So sieht die Wahrheit eben aus, unser Fleisch wächst nicht am Baum. Vor dem Hintergrund der Heile-Welt-Gemütlichkeit macht sich dennoch so etwas wie Beklemmung breit, die knackenden Knochen, das brutal verrenkte Schweine-Bein, etwas bleibt hängen für den Rest des Abends.

Bananen-Seppel aus Sachsen

Der wird nach dem Schweine-Massaker von einem diabolischen Moderator im Lederhosen-Dress moderiert. Auf der Plattform lässt er von seinen drei Kollegen in verschiedenen Nummern die Wahrheit hinter dem schönen Schein aufführen. Da schnallt sich dann ein Seppel eine Banane um, an der die anderen lustvoll killern – auch Kindesmissbrauch war an der Tagesordnung in der deutschen Außenstelle. In einer anderen Nummer verprügeln zwei den dritten mit Eisenstangen, bevor alle drei Burschen zu Ehren des Besuchs von Pinochet einen Schuhplattler tanzen.

Nur eines macht stutzig bei soviel süddeutschem Frohsinn. Der Moderator der Revue des Grauens spricht gar nicht bayerisch, sondern es klingt viel mehr verdächtig nach sächsisch. Das könnte natürlich schlicht eine Besetzungspanne sein. Aber je länger man ihm zuhört, desto mehr erscheinen die Heile-Welt-Bilder wie Szenen aus einem ganz anderem Freistaat.

Grauen hinter spießbürgerlicher Volkstümelei verstecken

Auch der sogenannte sozialistische Realismus verbarg hinter biederen Bilder von properen Arbeitern und Bauern sein wahres, brutales Gesicht. Es ist eine deutsche Spezialität, das Grauen hinter spießbürgerlicher Volkstümelei zu verstecken, da nehmen sich die rechte und die linke Diktatur nichts. Und die Auseinandersetzung mit den Abgründen hinter dieser Wohlfühlfassade hätte mit Sicherheit auch Leipzig sehr gut gestanden – doch dort wurden die Aufführung wegen der Zerlegung des Tieres kurzfristig vom Intendanten abgesagt.

Wie sich das dortige Schauspielhaus gegen diese leicht durchschaubare Performance wehrte, hat etwas von einem Beschützer-Instinkt gegenüber einem Bürgertum, das in seinem ordentlichen Theater keine hässlichen Dinge sehen will. Die unbeholfenen Versuche der Theaterleitung, die Absetzung zu rechtfertigen, könnten so gesehen fast selbst schon wieder ein Teil des Abends sein. Sie sind es aber leider nicht. Sondern die beste Rechtfertigung für eine Performance, die mit einer schlichten Grundaufstellung Abwehrreflexe hervorgerufen hat, die eine Geschichte haben, die es zu ergründen gilt.

http://www.nachtkritik.de/index.php?option=com_content&view=article&id=10953:welcome&catid=38:die-nachtkritik-k&Itemid=40

Michael Zöllner, "Riesen Schweinerei in den Sophiensaelen", Bild Zeitung, 7.5.2015

Das Schwein des Anstoßes ist zwar schon tot, wird aber im Stück "Welcome to Germany" vor Publikum zerlegt. Stellt sich die Frage: Kunst oder Sauerei?

Für Leipzig war es eine zu große Schweinerei, in Berlin kommt das umstrittene Stück „Welcome to Germany“ des Performance-Kollektivs Monster Truck heute in den Sophiensaelen auf die Bühne.

Eigentlich hatte die Premiere des als Heimatabend bezeichneten Stückes bereits am 29. April im Schauspiel Leipzig stattfinden sollen. Als Intendant Enrico Lübbe (40) erfuhr, dass die Berliner Performance-Gruppe auf der Bühne ein totes Schwein zerlegen will, sagte er die Premiere kurzerhand ab. Grund: Die Künstler haben ihm nicht schlüssig erklären können, warum das nötig sei.Nun wird das Schwein diesen Donnerstag auf der Bühne der Sophiensaele zerteilt und zu Wurst verarbeitet. „Eine Absage der Premiere stand nie zur Debatte“, sagt Sprecherin Gesa Rindermann (35). „Wir waren frühzeitig über die Pläne informiert.“
Für die Aufführung wurde das Schwein vorher geschlachtet, ausgenommen und gefrostet. „Ein Blutbad wird es nicht geben“, so Rindermann weiter. Zudem hatte sich die Performance-Gruppe auf das Schlachten vorbereitet. Die Künstler hatten dafür extra bei Metzgereien Workshops gemacht.
Besucher die beim Verwursten hungrig werden, müssen übrigens vertröstet werden. Das verarbeitete Fleisch darf aufgrund von Hygienevorschriften des Theaters nicht gegessen werden. Weggeworfen wird aber nichts. Das Schwein wird zu Tierfutter.

Alexander Kohlmann: "Das Grauen hinter der Wohlfühlfassade", Deutschlandradio Kultur, 7.5.2015

Einmal verschoben, dann abgesagt - ein bühnenreifes Drama hat sich um die Produktion "Welcome to Germany" des Theaterkollektivs Monstertruck entsponnen. Schuld war das Schwein, das auf der Bühne zerlegt werden sollte. Nun feierte es in Berlin Premiere.
Es erschließe sich ihm nicht, warum in der Performance ein Schwein zerlegt werde, sagte der Intendant des Schauspiel Leipzig Enrico Lübbe im DeutschlandradioKultur. In Leipzig durfte der neue Abend von Monster-Truck deshalb nicht gezeigt werden - in Berlin dagegen schon. Gestern Abend kam die Co-Produktion mit den Sophiensaelen doch noch zur Uraufführung - mit einem Schweine-Massaker in einem eindeutigen Kontext.

Blasmusik zu hören

Schon beim Betreten des Saals zeigt sich, dass dieser Abend viel eher eine Kunstinstallation, denn eine klassische Theaterinszenierung ist. In die Mitte der Bühne ist eine riesige Rotunde aufgebaut. Aus dem Inneren des hölzernen Karussells ist Blasmusik zu hören. Der Pavillon steht für eine Enklave deutschen Brauchtums am Fuße der chilenischen Anden. In der heutigen Villa Baviera auf dem Gelände der ehemaligen Colonia Dignidad hat jahrzehntelang eine Sekte mit deutschen Antlitz geherrscht. Während die Läden Schwarzbrot und Wurst vor bayrischer Kulisse verkauften, folterten die Schergen des Pinochet-Regimes ihre Gegner auf dem weitläufigen Gelände.
Die Zuschauer steigen durch die Tür und sitzen in der Rotunde an Biertischen. Um sie herum kreisen die Wände, an denen bunte Gemälde deutschen Brauchtums prangen. Ordentliche Buben in der Schule, ein Bauer auf dem Mähdrescher, niedliche Bayern-Häuser. Bier wird serviert und Würstchen mit Senf. Gemütlich geht es hier zu - bis das Licht verlischt und ohne Prolog passiert, worauf alle gewartet haben. Zu düsteren Splatter-Movie-Klängen trägt eine Frau im OP-Kostüm ein Schwein auf ein Podest in der Mitte der Bühne. Kein frischgeschlachtetes Tier ist das, sondern ein vorbereitetes Stück Fleisch aus dem Supermarkt, ausgenommen, ausgeblutet, gewaschen und gehäutet.

Fleisch wächst nicht am Baum

Der wird nach dem Schweine-Massaker von einem diabolischen Moderator im Lederhosen-Dress moderiert. Auf der Plattform lässt er von seinen drei Kollegen in verschiedenen Nummern die Wahrheit hinter dem schönen Schein aufführen. Da schnallt sich dann ein Seppel eine Banane um, an der die anderen lustvoll killern - auch Kindesmissbrauch war an der Tagesordnung in der deutschen Außenstelle bayerischer Gemütlichkeit.

Auseinandersetzung mit Abgründen

Nur eines macht stutzig bei soviel süddeutsch-chilenischer Folklore. Der Moderator der Revue des Grauens spricht gar nicht bayrisch, sondern es klingt viel mehr verdächtig nach sächsisch. Und je länger man ihm zuhört, desto mehr erscheinen die Heile-Welt-Bilder wie Szenen aus einem ganz anderem Freistaat.
Auch der sogenannte sozialistische Realismus verbarg hinter biederen Bildern von properen Arbeitern und Bauern sein wahres, brutales Gesicht. Es ist eine deutsche Spezialität, das Grauen hinter spießbürgerlicher Volkstümelei zu verstecken, da nehmen sich die rechte und die linke Diktatur nichts. Und die Auseinandersetzung mit den Abgründen hinter dieser Wohlfühlfassade hätte mit Sicherheit auch der "Heldenstadt" Leipzig sehr gut gestanden.

Egbert Tholl: "Bizarrer Einblick in die Hölle", Süddeutsche Zeitung, 3.3.2016

"Welcome to Germany": Monster Truck zu Gast an den Kammerspielen
Tritt ein mit Grausen und lass jede Hoffnung sausen: Die Gießener Truppe Monster Truck lädt ein in die Colonia Dignidad. Beziehungsweise in das, was von dem Sekten-Gefängnis, das Paul Schäfer 1961 in Chile am Fuße der Anden, gründete, übrig blieb. Denn übrig ist die "Villa Baviera", eine Art touristischer Wurmfortsatz von Schäfers Hölle.
Hölle auch hier. Monster Truck haben in die Spielhalle der Kammerspiele ein Bierzelt-Karussell gestellt, in dem einem schwindelig wird - so etwa wie im Rotor, einem Wiesn-Fahrgeschäft, in dem einen die Fliehkraft an die Wand drückt, während der Boden verschwindet. Der bleibt hier zwar da, aber die Wand der großen Trommel, in der man an Biertischen sitzt, dreht sich annähernd unaufhörlich. Vorbei ziehen gemalte Szenen: Traktor auf Feld, Hausmusik in Tracht, Schuhplattler, Schule, Vulkan, Alphörner, Kitsch. Ein Conférencier, der klingt wie vom Auto-Scooter, erzählt Witze, schal wie Bier-Lachen: "Was macht Mutti dem Vati morgens auf die gekochten Eier? Penatencreme."
Jessas. So also schaut "Welcome to Germany" aus. Also, so hört es sich an, ausschauen tut es ein bisschen härter. Drei Menschen mit Kindsmasken spielen auf einem sich ebenfalls drehendem Podest in der Mitte die schönsten Szenen aus dem Alltag in der Colonia nach: Prügelorgien, Missbrauch, Folter, Vergewaltigung, auf bizarre Art spielerisch, grotesk, unangenehm. Dann wird eine tote Sau zu Wurst verarbeitet, also ein Bein von ihr - serviert bekommt man Bockwurst, und man fragt sich, ob es die nur gibt, damit man was zum Speiben hat. Freilich: Ohne Vorwissen, ohne die Lektüre des im Programmzettel abgedruckten, bemerkenswerten Artikels aus der Zeit über die Colonia Dignidad erhielte man einen letztlich vagen Eindruck von etwas ganz Ungeheuerlichem, auch weil Sahar Rahimi von Monster Truck zwar von einer Recherche-Reise ins ehemalige Foltercamp berichtet, aber leider nicht gescheit erzählen kann. Doch der Abend wirkt dann doch kolossal. Carolina Holzapfel, aufgewachsen in Chile, setzt sich ans Klavier, singt "Kein schöner Land", singt inbrünstig von der Sehnsucht nach der Überwindung des Grauens, und geschmiert vom Pathos fügt sich alles zusammen, Pinochets Foltermorde, Gewalt und Sex, Stromstöße in die Geschlechtsorgane, Sklavenarbeit, Unmündigkeit, totale Verblödung, Gemütlichkeit. Prost.